Heiligen Klara von Assisi

Die Regel der Heiligen Klara

Die Regel der Heiligen Klara Bulle des Papstes Innozenz IV.

Innozenz, Bischof, Diener der Diener Gottes, den in Christo geliebten Töchtern, der Äbtissin Klara und den anderen Schwestern des Klosters S. Damiano bei Assisi, Heil und apostolischen Segen.

1. Der Apostolische Stuhl pflegt sich frommem Begehren zu neigen und geziemendem Ersuchen der Bittenden wohlwollende Förderung zu erteilen. Es liegt Uns nunmehr von eurer Seite die demütige Bitte vor, Wir möchten mit apostolischer Autorität die Lebensweise bestätigen, nach der ihr gemeinsam in der Eintracht des Geistes und dem Gelübde der höchsten Armut leben müßt. Der selige Franziskus hat euch diese Lebensweise übergeben und sie wurde von euch freiwillig angenommen. Unser ehrwürdiger Bruder, der Bischof von Ostia und Velletri, hielt dafür, daß sie approbiert werde, wie es ausführlicher der Brief des Bischofs, der dementsprechend abgefaßt ist, selbst enthält.

2. Wir sind darum euren ehrfurchtsvollen Bitten geneigt, indem Wir das, was von demselben Bischof getan worden ist, gutheißen, es mit apostolischer Autorität bestätigen und unter dem Schutz gegenwärtigen Schreibens bekräftigen; den Inhalt jenes Briefes aber fügen Wir wörtlich Gegenwärtigem bei. Sein Wortlaut ist folgender:

3. Rainald, durch Gottes Barmherzigkeit Bischof von Ostia und Velletri, seiner in Christo geliebten Mutter und Tochter, Frau Klara, Äbtissin von S. Damiano bei Assisi, und ihren Schwestern, den gegenwärtigen wie den zukünftigen, Heil und väterlichen Segen. Da ihr, in Christo geliebte Töchter, den Prunk und die Lust der Welt verachtet habt, und, den Fußspuren Christi selbst und seiner heiligsten Mutter folgend, erwählt habt, in klösterlicher Abgeschlossenheit zu wohnen und in höchster Armut im Dienste des Herrn zu stehen, damit ihr dem Herrn mit freier Seele dienen könnt, so anerkennen Wir euer heiliges Vorhaben im Herrn und wollen gerne mit väterlicher Zuneigung eurem Wunsch und heiligen Verlangen wohlwollende Gunst entgegenbringen. Deshalb sind Wir euren frommen Bitten geneigt, bestätigen und bekräftigen für alle Zeit vermöge der Autorität des Herrn Papstes und Unserer eigenen euch allen und euren Nachfolgerinnen in eurem Kloster unter dem Schutz gegenwärtigen Schreibens die Lebensform und Weise heiliger Gemeinschaft und höchster Armut, die euch euer seliger Vater, der hl. Franziskus, in Wort und Schrift zur Beobachtung übergeben hat und die Gegenwärtigem beigefügt ist. Sie lautet wie folgt:


REGEL UND LEBEN
der Armen Schwestern von der strengen Klausur

I. Kapitel

Die evangelische Regel und der katholische und seraphische Gehorsam. Im Namen des Herrn. Amen. Es beginnt die Regel

1. Die Lebensweise des Ordens der Armen Schwestern, welche der selige Franziskus begründet hat, ist diese:

2. Unseres Herrn Jesu Christi heiliges Evangelium zu beobachten durch ein Leben in Gehorsam, ohne Eigentum und in Keuschheit.

3. Klara, die unwürdige Magd Christi und kleine Pflanze des hochseligen Vaters Franziskus, verspricht Gehorsam und Ehrerbietung dem Herrn Papst Innozenz und seinen rechtmäßigen Nachfolgern, sowie der Römischen Kirche.

4. Und wie sie am Anfang ihrer Bekehrung dem seligen Franziskus zusammen mit ihren Schwestern Gehorsam versprochen hat, so verspricht sie, denselben seinen Nachfolgern unverbrüchlich zu bewahren.

5. Auch die anderen Schwestern sollen verpflichtet sein, den Nachfolgern des seligen Franziskus wie der Schwester Klara und den anderen kraft rechtmäßiger Wahl ihr nachfolgenden Äbtissinnen Gehorsam zu leisten.

II. Kapitel

Der Eintritt der Schwestern ins Kloster

1. Wenn jemand auf Gottes Eingebung hin zu uns kommt und dieses Leben annehmen will so soll die Äbtissin verpflichtet sein, die Zustimmung aller Schwestern einzufordern; und wenn der größere Teil zustimmt, so kann sie dieselbe mit Erlaubnis unseres Kardinalprotektors aufnehmen.

2. Und wenn es der Äbtissin gut scheint, sie aufzunehmen, so soll sie jene sorgfältig über den katholischen Glauben und die Sakramente der Kirche prüfen oder prüfen lassen.

3. Und wenn sie dies alles glaubt und gewillt ist, es treu zu bekennen und bis an ihr Ende unverbrüchlich daran festzuhalten, und wenn sie ferner keinen Ehemann hat, oder ihr Mann – falls sie einen hat – auch schon in einen Orden eingetreten ist mit Ermächtigung des Diözesanbischofs und das Gelübde der Enthaltsamkeit abgelegt hat, wenn ferner hohes Alter oder irgendeine Krankheit oder geistige Unzulänglichkeit nicht hinderlich sind, dieses Leben zu beobachten, so soll ihr sorgfältig die Grundhaltung unseres Lebens erklärt werden.

4. Und wenn sie geeignet ist, möge man ihr das Wort des heiligen Evangeliums sagen, daß sie hingehe, all ihr Eigentum verkaufe und es unter die Armen zu verteilen suche. Wenn sie dieses nicht tun kann, so genügt für sie der gute Wille.

5. Und die Äbtissin und ihre Schwestern sollen sich davor hüten, sich um deren zeitliche Habe zu kümmern, damit sie unbehindert mit ihrer Habe das tun könne, was der Herr ihr eingeben wird. Wenn doch um Rat ersucht wird, mögen sie dieselbe an gottesfürchtige Leute mit klugem Urteil verweisen, nach deren Rat ihre Güter an die Armen zu verteilen sind.

6. Hiernach soll ihr die Äbtissin, nachdem ihr die Haare ringsum abgeschnitten worden sind und sie die weltliche Kleidung abgelegt hat, drei Habite und einen Mantel gewähren.

7. Danach soll ihr nur aus nützlicher, begründeter, offenbarer und glaubhafter Ursache erlaubt sein, den Klosterbereich zu verlassen.

8. Ist das Prüfungsjahr aber vollendet, so soll sie zum Gehorsam angenommen werden, indem sie verspricht, das Leben und die Weise unserer Armut für immer zu befolgen.

9. Niemand darf während der Probezeit den Schleier empfangen.

10. Die Schwestern sollen auch kurze Mäntel haben können zur Erleichterung und Schicklichkeit bei Dienst und Arbeit.

11. Die Äbtissin soll sie umsichtig mit Kleidung versorgen nach der körperlichen Beschaffenheit der Person, nach Maßgabe der Orte, Zeiten und kälteren Gegenden, so wie es nach ihrer Ansicht der Notlage entspricht.

12. Jungen Mädchen, die vor der Zeit des erforderlichen Alters in das Kloster aufgenommen werden, sollen ringsum die Haare abgeschnitten werden; und nach Ablegung des weltlichen Kleides sollen sie mit einem klösterlichen Gewand bekleidet werden, wie es der Äbtissin für gut scheint.

13. Wenn sie in das erforderliche Alter gekommen sind, sollen sie nach der Form der anderen bekleidet werden und ihre Gelübde ablegen.

14. Und die Äbtissin möge sowohl diesen als auch den anderen Novizinnen mit Bedacht aus den Schwestern des ganzen Klosters, die ein klügeres Urteil haben, eine Meisterin besorgen, welche sie im heiligen Lebenswandel und in den ehrbaren Sitten genau nach unserer Lebensweise bilden soll, die wir versprochen haben.

15. Bei Prüfung und Aufnahme der außerhalb des Klosters dienenden Schwestern soll die vorgeschriebene Form beobachtet werden;

16. diese aber können Schuhwerk tragen.

17. Niemand darf bei uns im Kloster seinen Wohnsitz haben, ohne nach der Lebensweise aufgenommen worden zu sein, die wir versprochen haben.

18. Und um der Liebe des heiligsten und geliebtesten Kindes willen, das in ärmliche Windeln eingewickelt in der Krippe gelegen ist, und um seiner heiligsten Mutter willen mahne, bitte und ermuntere ich meine Schwestern, daß sie immer geringwertige Kleidung tragen.

III. Kapitel

Das Göttliche Offizium, das Fasten; die Beichte und Kommunion

1. Die des Lesens kundigen Schwestern sollen das Göttliche Offizium nach dem Brauch der Minderen Brüder verrichten, indem sie es rezitieren ohne Gesang; darum dürfen sie Breviere haben,.

2. Und diejenigen, welche bei begründeter Gelegenheit einmal ihre Tagzeiten nicht rezitieren können, dürfen wie die anderen Schwestern Vaterunser beten.

3. Die aber nicht lesen können, sollen vierundzwanzig Vaterunser beten für die Matutin, für die Laudes fünf, für die Prim aber, Terz Sext und Non, für jede dieser Horen sieben; für die Vesper aber zwölf; für die Komplet sieben.

4. Auch für die Verstorbenen sollen sie beten zur Vesper sieben Vaterunser mit Requiem aeternam, zur Matutin zwölf,

5. während die des Lesens kundigen Schwestern verpflichtet sein sollen, das Totenoffizium zu verrichten.

6. Sobald aber eine Schwester unseres Klosters gestorben ist, sollen sie fünfzig Vaterunser beten.

7. Zu aller Zeit sollen die Schwestern fasten.

8. An Weihnachten, auf welchen Tag es auch fällt, sollen sie sich zweimal sättigen können.

9. jüngere, gebrechliche und außerhalb des Klosters bedienstete Schwestern können nach Gutdünken der Äbtissin barmherzig befreit werden.

10. Zur Zeit offensichtlicher Not jedoch sollen die Schwestern zum leiblichen Fasten nicht verpflichtet sein.

11. Wenigstens zwölfmal im Jahre sollen sie mit Erlaubnis der Äbtissin beichten.

12. Und sie sollen sich hüten, dabei andere Worte einzufügen, außer solche, die sich auf die Beichte und das Heil der Seele beziehen.

13. Siebenmal sollen sie kommunizieren, und zwar an Weihnachten, am Gründonnerstag, an Ostern, an Pfingsten, an Mariä Himmelfahrt, am Feste des hl. Franziskus und am Feste Allerheiligen.

14. Um den gesunden oder kranken Schwestern die heilige Kommunion zu spenden, soll dem Kaplan erlaubt sein, innerhalb des Klosters zu zelebrieren.

IV. Kapitel

Wahl und Amt der Äbtissin; das Kapitel; die Amts- und Ratschwestern

1. Bei der Wahl der Äbtissin sollen die Schwestern verpflichtet sein, die kanonische Form zu beobachten.

2. Und sie sollen rechtzeitig sorgen, daß der General- oder Provinzialminister des Ordens der Minderen Brüder anwesend sei, der sie bei der Wahl durch das Wort Gottes anleite zur völligen Eintracht und zum gemeinsamen Wohl.

3. Und es soll nur eine Profeßschwester gewählt werden. Wenn aber eine Schwester gewählt oder anderswie bestellt wird, die nicht Gelübde abgelegt hat, so soll ihr erst nach Ablegung unseres Armutsgelübdes Gehorsam geleistet werden.

4. Wenn die Äbtissin stirbt, soll eine andere zur Äbtissin gewählt werden.

5. Und wenn es irgendwann einmal den Schwestern in ihrer Gesamtheit klar werden sollte, daß die Äbtissin zum Dienst und zum gemeinsamen Wohl der Schwestern unzureichend sei, dann sollen die genannten Schwestern verpflichtet sein, sich nach der vorgeschriebenen Form so schnell als möglich eine andere zur Äbtissin und Mutter zu wählen.

6. Die Gewählte aber soll bedenken, welche Bürde sie auf sich genommen hat und wem sie Rechenschaft über die ihr anvertraute Herde ablegen muß».

7. Auch soll sie sich bemühen, mehr durch Tugenden und heiligen Wandel als durch das Amt die anderen zu überragen, auf daß die Schwestern, von ihrem Beispiel entzündet, ihr eher aus Liebe denn aus Furcht gehorchen.

8. Von persönlichen Freundschaften soll sie sich freihalten, damit sie nicht, während sie einem Teil größere Liebe erweist, der Gemeinschaft Ärgernis bereitet.

9. Sie soll die Betrübten trösten. Sie sei auch die letzte Zuflucht für die Bedrängten. Denn wenn bei ihr die Heilmittel zur Gesundung fehlen, würde das übel der Mutlosigkeit – bei den Kranken die Oberhand gewinnen.

10. In allen Stücken soll sie das gemeinsame Leben beobachten, vornehmlich aber in der Kirche, im Schlafraum, im Refektorium, im Krankenzimmer und bezüglich der Kleidung. Dies in gleicher Weise zu beobachten, soll auch die Vikarin verpflichtet sein.

11. Wenigstens einmal in der Woche soll die Äbtissin verpflichtet sein, ihre Schwestern zum Kapitel zusammenzurufen.

12. Dort soll sowohl sie als auch die Schwestern demütig die gewöhnlichen und öffentlichen Vergehen und Nachlässigkeiten bekennen.

13. Dort soll sie, was zum Nutzen und Frommen des Klosters ist, mit all ihren Schwestern beraten; oft nämlich tut der Herr das, was besser ist, dem Geringeren kund34.

14. Keine schwere Schuldverpflichtung soll eingegangen werden ohne allgemeine Zustimmung der Schwestern und ohne offenbare Notwendigkeit, und dies nur durch einen Prokurator.

15. Die Äbtissin mit ihren Schwestern aber soll sich hüten, im Kloster irgendein anvertrautes Gut in Verwahr zu nehmen; oft nämlich entstehen deswegen Mißhelligkeiten und Ärgernisse.

16. Um die Einheit der gegenseitigen Liebe und des Friedens zu bewahren, sollen alle Amtsschwestern des Klosters unter gemeinsamer Zustimmung aller Schwestern gewählt werden.

17. Und auf dieselbe Weise sollen wenigstens acht von den Schwestern gewählt werden, die ein klügeres Urteil haben; in allen Dingen, welche die Weise unseres Lebens angehen, soll die Äbtissin verpflichtet sein, immer deren Rat zu hören.

18. Auch können und sollen die Schwestern, wenn es ihnen einmal nützlich und vorteilhaft scheint, die Amts- und Ratschwestern abberufen und andere an ihre Stelle wählen.

V. Kapitel

Das Stillschweigen; das Sprechzimmer und das Gitter

1. Von der Komplet bis zur Terz sollen die Schwestern das Stillschweigen halten, ausgenommen die, welche außerhalb des Klosters arbeiten.

2. Auch sollen sie beständiges Stillschweigen beobachten in der Kirche, im Schlafraum, im Refektorium aber nur während des Essens;

3. nur im Krankenzimmer soll es den Schwestern allzeit erlaubt sein, mit Mäßigkeit zu reden, soweit es der Erholung und Pflege der Kranken dient.

4. Immer und überall jedoch können sie in Kürze und mit leiser Stimme das Nötige mitteilen.

5. Es soll den Schwestern nicht erlaubt sein, im Sprechzimmer oder am Gitter ohne Erlaubnis der Äbtissin oder ihrer Vikarin zu sprechen.

6. Die aber die Erlaubnis haben, sollen nicht wagen, im Sprechzimmer zu reden, es sei denn, daß zwei Schwestern anwesend sind und zuhören.

7. Ans Gitter zu gehen aber sollen sie sich nicht unterfangen, wenn nicht wenigstens drei durch die Äbtissin oder ihre Vikarin bezeichnete Schwestern von jenen acht Ratschwestern anwesend sind, die von allen Schwestern zur Beratung der Äbtissin gewählt wurden.

8. Die Äbtissin und deren Vikarin sollen auch für ihre Person verpflichtet sein, diese Form des Sprechens zu beobachten.

9. Und dies geschehe am Gitter sehr selten, an der Pforte aber überhaupt nicht.

10. An der Innenseite des Gitters soll ein Tuchvorhang angebracht werden, der nur entfert werden soll, wenn das Wort Gottes verkündet wird oder eine Schwester mit jemand sprechen will.

11. Das Gitter soll auch eine hölzerne Tür haben mit zwei verschiedenen, möglichst festen eisernen Schlössern, Flügeln und Balken; sie soll so hauptsächlich in der Nacht mit zwei Schlüsseln verschlossen werden, deren einen die Äbtissin, deren anderen aber die Sakristanin haben soll; und sie soll immer verschlossen bleiben, außer zum Anhören des Gottesdienstes und aus den oben erwähnten Gründen.

12. Unter keinen Umständen darf eine Schwester vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang am Gitter mit jemand sprechen.

13. Im Sprechzimmer aber soll der Vorhang immer auf der Innenseite bleiben und nicht entfernt werden.

14. Während der Martini- und der großen vierzigtägigen Fastenzeit soll niemand im Sprechzimmer sprechen, es sei denn mit einem Priester, um zu beichten oder wegen einer anderen offenbaren Notwendigkeit; dies soll der Klugheit der Äbtissin oder ihrer Vikarin überlassen bleiben.

VI. Kapitel

Die Gründung des Seraphischen zweiten Ordens; der gelobte Verzicht auf Besitz

1. Nachdem der höchste himmlische Vater sich gewürdigt hatte, mein Herz durch seine Gnade zu erleuchten, daß ich nach dem Beispiel und der Lehre unseres hochseligen Vaters, des hl. Franziskus, Buße tue, habe ich bald nach seiner eigenen Bekehrung ihm freiwillig zusammen mit meinen Schwestern Gehorsam versprochen.

2. Als aber der selige Vater bemerkte, daß wir keine Armut, Beschwerde, Mühsal, Niedrigkeit und Verachtung der Welt fürchteten, ja sogar für große Wonne hielten, schrieb er uns, von Liebe bewegt, die Lebensweise auf folgende Art nieder: Da ihr euch auf göttliche Eingebung hin zu Töchtern und Dienerinnen des höchsten und größten Königs, des himmlischen Vaters, gemacht und euch dem Heiligen Geist vermählt habt, indem ihr das Leben nach der Vollkommenheit des heiligen Evangeliums erwähltet, so will ich – und ich verspreche dies für mich und meine Brüder – für euch genau so wie für diese immer liebe volle Sorge und besondere Aufmerksamkeit hegen. Dies hielt er getreulich, solange er lebte, und er wollte, daß die Brüder es immer halten.

3. Und damit weder wir, noch auch die, welche nach uns kommen, von der heiligsten Armut, welche wir erwählt haben, jemals abweichen, schrieb er uns abermals, kurz vor seinem Heimgang, seinen letzten Willen mit folgenden Worten: Ich, der ganz geringe Bruder Franziskus, will dem Leben und der Armut unseres höchsten Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter nachfolgen und in ihr bis zum Ende verharren. Und ich bitte euch, meine Herrinnen, und ich rate euch, ihr möchtet doch allezeit in diesem heiligsten Leben und in der Armut leben. Und hütet euch mit Sorgfalt, damit ihr nicht auf die Lehre oder den Rat von irgend jemand hin in irgendeiner Form auf ewig davon abweichst.

4. Und wie ich selbst zusammen mit meinen Schwestern immer besorgt war, die heilige Armut, die ich Gott, dem Herrn, und dem seligen Franziskus versprochen habe, zu beobachten, so sollen die Äbtissinnen, welche mir im Amte folgen, und alle Schwestern sie unverletzt bis ans Ende zu bewahren verpflichtet sein,

5. nämlich weder Besitz noch Eigentum noch sonst irgend etwas, was begründeterweise Eigentum genannt werden kann, anzunehmen oder zu besitzen, weder persönlich noch durch einen Vermittler,

6. ausgenommen soviel Land, als es zu einem auskömmlichen Leben in der Abgeschiedenheit des Klosters notwendig ist; und dieses Land soll nicht bearbeitet werden, es sei denn als Garten für ihre eigenen Bedürfnisse.

VII. Kapitel

Arbeit und Almosen

1. Die Schwestern, denen der Herr die Gnade gegeben hat, arbeiten zu können, sollen nach der Terz in Treue und in Hingabe arbeiten, und zwar soll es sich um eine ehrbare und für die Gemeinschaft nützliche Arbeit handeln,

2. so daß sie zwar den der Seele schädlichen Müßiggang fernhalten, aber den Geist des heiligen Gebetes und der Hingabe nicht ersticken; ihm sollen ja die anderen zeitlichen Dinge dienen.

3. Und was sie durch Handarbeit verfertigen, soll die Äbtissin oder ihre Vikarin in Gegenwart aller beim Kapitel verteilen.

4. Das nämliche soll geschehen, wenn von Leuten irgendein Almosen für die Bedürfnisse der Schwestern geschickt wird, damit gemeinschaftlich der Spender gedacht werde.

5. Und dies alles soll durch die Äbtissin oder deren Vikarin nach Besprechung mit den Ratschwestern zum Nutzen aller verteilt werden.

VIII. Kapitel

Die evangelische Bettelweise, die Armut insbesondere; die kranken Schwestern

1. Die Schwestern sollen nichts als Eigentum erwerben, weder ein Haus noch eine Niederlassung noch irgendeine andere Sache. Und gleichwie Pilger und Fremdlinge (I Petr 2, II), die in dieser Welt dem Herrn in Armut und Demut dienen, mögen sie voll Vertrauen um Almosen schicken.

2. Und sie sollen sich darob nicht schämen, weil der Herr sich unsertwillen in dieser Welt arm gemacht hat. Dies ist jene Erhabenheit der höchsten Armut, die euch, meine inniggeliebten Schwestern, zu Erbinnen und Königinnen des Himmelreiches eingesetzt, an Habe arm gemacht, durch Tugenden geadelt hat (vgl. Jak 2, 5). Sie soll euer Erbteil sein, der euch hingeleitet in der Lebendigen Land (Ps 141,6). Dieser sollt ihr, meine inniggeliebten Schwestern, mit ganzer Seele anhangen und um des Namens unseres Herrn Jesu Christi und seiner heiligsten Mutter willen auf immer nichts anderes unter dem Himmel zu besitzen trachten.

3. Keiner Schwester soll es erlaubt sein, Briefe fortzuschicken oder etwas anzunehmen oder aus dem Kloster wegzugeben ohne Erlaubnis der Äbtissin.

4. Und es soll nicht erlaubt sein, irgend etwas zu haben, was die Äbtissin nicht gegeben oder erlaubt hat.

5. Wenn einer Schwester von ihren Eltern oder von anderen Leuten etwas geschickt wird, so soll die Äbtissin es ihr zukommen lassen. Die Schwester aber soll es gebrauchen können, wenn sie dessen bedarf; andernfalls soll sie es in Liebe einer bedürftigen Schwester zuwenden.

6. Wenn ihr aber Geld übersandt wird, so soll die Äbtissin sie nach Besprechung mit den Ratschwestern mit dem versorgen, was sie nötig hat.

7. Was die kranken Schwestern angeht, so soll die Äbtissin streng verpflichtet sein, in eigener Person und durch die anderen Schwestern sich sorgfältig zu erkundigen nach allem, was ihre Krankheit erfordert, sowohl an guten Ratschlägen als an Speisen und allen notwendigen Dingen, und es nach Möglichkeit des Ortes liebevoll und barmherzig besorgen.

8. Denn alle sind verpflichtet, ihre kranken Schwestern so zu versorgen und zu bedienen, wie sie selbst bedient sein möchten, wenn sie von irgendeiner Krankheit befallen sind.

9. Zuversichtlich soll eine der anderen ihre Not offenbaren. Und wenn schon eine Mutter ihre leibliche Tochter liebt und umhegt (vgl. 1. Thess 2,7), mit wieviel größerer Sorgfalt muß eine Schwester dann ihre geistliche Schwester lieben und umhegen.

1o. Die Kranken aber sollen auf Strohsäcken liegen und unter dem Kopf ein mit Federn gefülltes Kopfkissen haben; und die, welche wollene Socken und Polster benötigen, sollen sich ihrer bedienen können.

11. Die genannten kranken Schwestern können, wenn sie von Leuten, die das Kloster betreten, besucht werden und diese mit ihnen sprechen, einzeln kurz einige erbauliche Worte wechseln.

12. Die anderen Schwestern aber, auch wenn sie Erlaubnis haben, sollen nicht wagen, mit Leuten, die das Kloster betreten, zu sprechen, es sei denn, daß zwei Ratschwestern, die von der Äbtissin oder deren Vikarin bestimmt sind, anwesend sind und zuhören.

13. Die Äbtissin und deren Vikarin sollen auch für ihre Person verpflichtet sein, diese Form des Sprechens zu beobachten.

IX. Kapitel

Die Buße, die den Schwestern auferlegt werden soll; die außerhalb des Klosters dienenden Schwestern

1. Wenn eine Schwester auf Anreiz des Bösen Feindes tödlich gegen die Lebensform gesündigt, die wir versprochen haben, und, von der Äbtissin oder anderen Schwestern zwei- oder dreimal ermahnt, sich nicht gebessert hat, so soll sie so viele Tage auf dem Boden vor allen Schwestern im Refektorium Brot und Wasser genießen, als sie hartnäckig ist. Wenn es der Äbtissin für gut scheint, soll sie einer noch schwereren Strafe verfallen sein.

2. Solange sie hartnäckig ist, soll gebetet werden, daß der Herr ihr Herz zur Buße erleuchte.

3. Die Äbtissin aber und ihre Schwestern sollen sich davor hüten, zornig oder aufgebracht zu werden wegen der Sünde, die jemand begangen hat; denn Zorn und Aufregung verhindern in ihnen selbst und in den anderen die Liebes,.

4. Wenn es vorkommen sollte, was ferne sei, daß jemals zwischen zwei Schwestern durch Wort oder Zeichen Veranlassung zu Aufregung oder Ärgernis entstände, so soll diejenige, welche die Ursache zur Aufregung gegeben hat, sofort, noch ehe sie vor dem Herrn die Gabe ihres Gebetes darbringt (vgl- Mt 5, 23 f.), sich nicht nur demütig der anderen zu Füßen werfen und um Verzeihung flehen, sondern sie auch einfältig bitten, sie möge für sie Fürsprache beim Herrn einlegen, daß er ihr verzeihe.

5. Jene aber, eingedenk des Wortes des Herrn: Wenn ihr nicht von Herzen verzeiht, so wird euch auch euer himmlischer Vater nicht verzeihen (vgl. Mt 18,35; 6, 15), soll großmütig ihrer Schwester die ganze ihr zugefügte Beleidigung vergeben.

6. Die außerhalb des Klosters dienenden Schwestern sollen nicht lange ausbleiben, wenn nicht eine offenbare Notwendigkeit Anlaß dazu gibt.

7. Und sie sollen anständig einhergehen und wenig reden, auf daß sie diejenigen, die sie sehen, immer zu erbauen vermögen.

8. Und sie sollen sich streng hüten, Verdacht erregende Beziehungen oder Beratungen mit Männern zu unterhalten.

9. Ebenso sollen sie keine Patenstelle über Männer oder Frauen annehmen, damit nicht bei diesem Anlaß Gerede oder Verdruß entsteht.

10. Und sie sollen sich nicht unterfangen, Gerüchte von der Welt ins Kloster zu bringen.

11. Auch sollen sie streng verpflichtet sein, nichts von dem, was im Kloster gesprochen oder getan wird, nach außen zu berichten, was irgendein Ärgernis erzeugen könnte.

12. Wenn eine Schwester aus Einfältigkeit in diesen zwei Stücken gefehlt hat, so soll es der Klugheit der Äbtissin anheimgestellt sein, ihr mit Erbarmen eine Buße aufzuerlegen. Wenn sie es aber aus lasterhafter Gewohnheit getan hat, so soll ihr die Äbtissin nach Beratung mit den Ratschwestern je nach der Beschaffenheit der Schuld eine Buße auferlegen.

X. Kapitel

Die Visitation durch die Äbtissin und der Gehorsam der Schwestern; die Laster und Tugenden

1. Die Äbtissin soll ihre Schwestern ermahnen und aufsuchen und sie in Demut und Liebe zurechtweisen, ohne ihnen etwas zu befehlen, was gegen ihre Seele und die Lebensform, die wir versprochen haben wäre.

2. Die Schwestern aber, die Untergebene sind, sollen bedenken, daß sie um Gottes willen auf ihren eigenen Willen verzichtet haben. Darum sollen sie streng verpflichtet sein, ihren Äbtissinnen Gehorsam zu leisten in allen Dingen, die sie dem Herrn zu beobachten versprochen haben und die nicht gegen die Seele und unsere Profeß sind.

3. Die Abrissen aber soll ihnen mit so großer und herzlicher Liebe begegnen, daß sie mit ihr reden und umgehen können wie Herrinnen mit ihrer Dienerin. Denn so muß es sein, daß die Äbtissin die Dienerin aller Schwestern ist.

4. Ich mahne jedoch im Herrn Jesus Christus dringend, daß die Schwestern sich hüten mögen vor allem Stolz, eitler Ruhmsucht, Neid, Habsucht, der Sorge und dem geschäftigen Treiben dieser Welt, vor Ehrabschneider und Murren, Auseinandersetzung und Entzweiung.

5. Immer aber sollen sie besorgt sein, einander die Einigkeit der gegenseitigen Liebe zu bewahren, die das Band der Vollkommenheit ist (vgl. KOI 3,14).

6. Und die keine wissenschaftlichen Kenntnisse haben, dürfen nicht danach trachten, sich wissenschaftliche Bildung zu verschaffen.

7. Sie sollen vielmehr bedenken, daß ihr Verlangen vor allem dahin gehen muß, den Geist des Herrn zu besitzen und sein heiliges Wirken, allzeit mit reinem Herzen zu ihm zu beten, Demut und Geduld in Trübsal und Krankheit zu bewahren und jene zu lieben, die uns verfolgen, tadeln und anschuldigen; denn der Herr sagt: Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Reich der Himmel (Mt 5, io). Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden (Mt 10,22).

XI. Kapitel

Die Pförtnerin, die Pforte; das Betreten des Klosters

1. Die Pförtnerin soll gesetzt sein im Benehmen und verschwiegen, und sie soll entsprechenden Alters sein; am Tage halte sie sich in einem offenen Kämmerchen ohne Tür an der Pforte auf.

2. Es soll ihr auch eine geeignete Gehilfin zugeteilt werden, die, wenn es nötig ist, in allem ihr Amt versieht.

3. Die Pforte aber soll mit zwei verschiedenen eisernen Schlössern, Flügeln und Balken aufs beste versehen sein,

4. damit sie hauptsächlich in der Nacht mit zwei Schlüsseln verschlossen werde, wovon den einen die Pförtnerin, den anderen die Äbtissin haben soll.

5. Auch am Tage soll sie keineswegs ohne Bewachung gelassen und mit einem Schlüssel fest verschlossen werden.

6. Sie sollen aber eifrigst Fürsorge tragen und besorgt sein, daß die Pforte niemals offensteht, außer soweit es schicklicherweise nicht anders geschehen kann.

7. Und sie soll auf keinen Fall irgend jemandem, der einzutreten wünscht, geöffnet werden, wenn es ihm nicht vom Papst oder unserem Herrn Kardinal erlaubt ist.

8. Die Schwestern sollen niemand erlauben, weder vor Sonnenaufgang das Kloster zu betreten, noch nach Sonnenuntergang dort zu bleiben, es sei denn, es bestehe eine offenbare, begründete und unvermeidbare Ursache.

9. Wenn einem Bischof zur Weihe der Äbtissin oder zur Nonnenweihe einer Schwester oder sonstwie erlaubt worden ist, die Messe im Inneren des Klosters zu feiern, so begnüge er sich mit möglichst wenigen und wohlgesitten Begleitern und Dienern.

10. Wenn es aber notwendig ist, daß einige Leute das Klosterinnere betreten, um eine Arbeit vorzunehmen, dann soll die Äbtissin gewissenhaft eine geeignete Person an die Pforte stellen, die nur jenen zur Arbeit bestimmten Leuten und nicht anderen öffnen soll.

11. Alle Schwestern sollen eifrigst darauf achthaben, daß sie dann von den Eintretenden nicht gesehen werden.

XII. Kapitel

Der Visitator; der Kaplan und seine Gefährten; der Kardinalprotektor

1. Unser Visitator soll nach dem Willen und Befehl unseres Kardinals immer vom Orden der Minderen Brüder sein.

2. Er sei ein Mann, dessen ehrbarer Lebenswandel allgemein bekannt ist.

3. Sein Amt wird sein, die gegen die gelobte Lebensweise begangenen Verstöße an Haupt und Gliedern zu verbessern.

4. Diesem soll erlaubt sein, in einem allgemein zugänglichen Raum, wo er von anderen gesehen werden kann, mit mehreren oder einzelnen das zu besprechen, was sich auf die Visitation bezieht, so wie es ihm am besten dünkt.

5. Um der Liebe Gottes und des seligen Franziskus willen erbitten wir von der Güte seines Ordens, wie wir es vom genannten Minderbrüderorden gütigerweise immer gehabt haben, auch einen Kaplan mit einem geistlichen Gefährten von gutem Ruf und vorsichtiger Zurückhaltung und zwei Laienbrüder, Liebhaber eines heiligen und ehrbaren Lebenswandels, zur Unterstützung unserer Armut.

6. Dem Kaplan soll nicht erlaubt sein, ohne den Gefährten das Kloster zu betreten.

7. Wenn sie es betreten, sollen sie sich in einem allgemein zugänglichen Raum aufhalten, daß sie sich stets gegenseitig sehen und von den anderen gesehen werden können.

8. Für die Beichte der Kranken, welche nicht ins Sprechzimmer gehen können, für ihre Kommunion, für die Olung und für die Sterbegebete soll ihnen erlaubt sein, das Kloster zu betreten.

9. Für die Leichenfeierlichkeiten aber, die Totenämter, das Ausschachten oder Offnen oder auch das Zurechtmachen des Grabes sollen nach Gutdünken der Äbtissin die notwendigen und geeigneten Leute das Kloster betreten können.

10. Außerdem sollen die Schwestern streng verpflichtet sein, stets jenen Kardinal der heiligen Römischen Kirche als unseren Leiter, Schutzherrn und Mahner zu haben, der vom Herrn Papst für die Minderen Brüder bestimmt ist,

11. auf daß wir, allezeit den Füßen dieser heiligen Kirche untertan und unterworfen, feststehend im katholischen Glauben (vgl. Kol 1, 23), für immer die Armut und Demut unseres Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter und das heilige Evangelium beobachten, was wir fest versprochen haben. Amen.