
Hl. Klara von Assisi
Brief der heiligen Klara an Ermentrudis von Brügge
Ermentrudis, ihrer liebsten Schwester, entbietet Klara von Assisi, eine demütige Magd Jesu Christi, Gruß und Frieden.
Ich habe erfahren, liebste Schwester, daß Du dem Schmutz der Welt mit Hilfe der Gnade Gottes glücklich entflohen bist. Deshalb freue ich mich und beglückwünsche Dich von Herzen, und freue mich abermals, daß Du mit Deinen Töchtern entschlossen den Pfad der Tugend wandelst.
Liebste, sei dem treu, dem Du Dich gelobt hast bis zum Tod; von ihm nämlich wirst Du mit dem Lorbeerkranz des Lebens gekrönt werden. Kurz ist unsere Mühsal hier, ewig dagegen der Lohn. Nicht verwirre Dich der Lärm der Welt, die vergeht wie Schatten. Eitle Bilder einer trügerischen Welt mögen Dich nicht betören. Verschließ Dein Ohr dem Gezisch der Hölle und zerbrich unerschrocken ihre Versuchungen. Widrige Übel ertrage gerne und günstige Dinge mögen Dich nicht überheblich machen: Diese nämlich fordern den Glauben und jene verjagen ihn.
Was Du Gott gelobt hast, gib getreu zurück, und er selbst wird es Dir vergelten. O Liebste, blick auf zum Himmel, der uns einlädt, und nimm das Kreuz und folge Christus, der uns vorangeht.
Und in der Tat werden wir nach mancherlei und vielen Anfechtungen durch ihn selbst in seine Herrlichkeit eintreten.
Liebe Gott aus ganzem Herzen wie auch Jesus, seinen Sohn, der für uns Sünder gekreuzigt worden ist; niemals möge sein Gedächtnis Deinem Geist entschwinden. Betrachte ja beständig die Geheimnisse des Kreuzes und die Ängste der Mutter, als sie unter dem Kreuz stand. Bete und wache allezeit! Und das Werk, das Du begonnen hast, vollende mit Eifer. Erfülle es in der heiligen Armut und der lauteren Demut.
Fürchte Dich nicht, Tochter, Gott ist getreu in all seinen Worten und heilig in all seinen Werken; er wird über Dich und Deine Töchter seinen Segen ausgießen. Und er wird Euer Helfer und bester Tröster sein. Er ist unser Erlöser und ewiger Lohn.
Laßt uns Gott füreinander bitten; wenn wir nämlich so, eine der anderen, die Last der Liebe tragen, werden wir leicht das Gesetz Christi erfüllen.
Amen.
Erster Brief an die heilige Agnes von Prag
Der ehrwürdigen und heiligen Jungfrau, Herrin Agnes, der Tochter des erhabenen und berühmten Königs von Böhmen, entbietet Klara, die unwürdige Dienerin Jesu Christi und unnütze Magd der Frauen von der strengen Klausur des Klosters S. Damiano, in allem ihre Untergebene und Magd, auf jegliche Weise und mit besonderer Ehrfurcht ihren Gruß, verbunden mit dem Wunsch, die Glorie der ewigen Glückseligkeit zu erlangen.
Ich habe den überaus ehrenwerten Ruf Eures heiligen Ordenslebens und Lebenswandels vernommen, der nicht nur mir, sondern fast auf der ganzen Welt rühmlich bekannt ist; darüber freue ich mich sehr im Herrn und juble; nicht nur ich allein vermag darüber zu frohlocken, sondern alle, die im Dienst Jesu Christi stehen oder zu stehen verlangen.
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Ihr hättet außer anderem Prunk, Ehren und weltlicher Würde den außerordentlichen Ruhm genießen können, mit dem erlauchten Kaiser rechtmäßig vermählt zu werden, wie es Eurer und seiner Hoheit geziemt hätte. Trotzdem aber habt Ihr das alles verschmäht. Ihr habt mit ganzer Seele und Leidenschaft des Herzens die heiligste Armut und leibliche Not erwählt und einen Bräutigam edleren Geschlechts genommen, den Herrn Jesus Christus, der Eure Jungfrauschaft immer unbefleckt und unversehrt bewahren wird.
Wenn Ihr ihn liebt, seid Ihr keusch, wenn Ihr ihn berührt, werdet Ihr noch reiner, wenn Ihr ihn aufnehmt, bleibt Ihr Jungfrau. .
Seine Macht ist stärker, seine edle Art erhabener, sein Aussehen schöner, seine Liebe holder und alle seine Anmut feiner. Von seinen Umarmungen seid Ihr schon umfangen, er hat Eure Brust mit kostbaren Steinen geschmückt und Euren Ohren unschätzbare Perlen geschenkt. Und ganz hat er Euch umgeben mit leuchtenden und funkelnden Edelsteinen und Euch gekrönt mit einer goldenen Krone, dem ausdrücklichen Zeichen seiner Heiligkeit. Deshalb, liebste Schwester, ja noch mehr zu verehrende Herrin, seid Ihr Braut, Mutter und Schwester meines Herrn Jesus Christus; strahlend seid Ihr ausgezeichnet mit dem Banner unverletzlicher Jungfräulichkeit und heiligster Armut; bleibt stark im heiligen Dienst, den Ihr in glühender Sehnsucht zum armen Gekreuzigten begonnen habt.
Er hat ja für uns alle das Leiden des Kreuzes auf sich genommen und uns dadurch der Macht des Fürsten der Finsternis entrissen, in der wir wegen der Übertretung des Stammvaters in Banden gefesselt gehalten wurden. Und so hat er uns mit Gott, dem Vater, versöhnt.
O selige Armut! Denen, die sie lieben und hochschätzen, gewährt sie ewige Reichtümer!
O heilige Armut! Wer sie besitzt und nach ihr sich verzehrt, dem wird von Gott das Himmelreich verheißen, und ewiger Ruhm und seliges Leben ohne Zweifel verliehen.
O gottgefällige Armut! Sie hat der Herr Jesus Christus, der Himmel und Erde regierte und regiert, der auch sprach und es ward, vor allem anderen liebgewinnen wollen.
Die Füchse nämlich, sagt er, haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, der Menschensohn aber, das heißt Christus, hat nichts, wohin er sein Haupt lege, sondern neigte sein Haupt und gab den Geist auf.
Wenn also ein so großer und hervorragender Herr in den jungfräulichen Schoß kam und verachtet, hilflos und arm in der Welt erscheinen wollte, damit die Menschen, die überaus arm und bedürftig waren und allzu sehr Mangel an himmlischer Speise litten, in ihm reich würden durch den Besitz himmlischer Reiche, so frohlockt von Herzen und freuet Euch, erfüllt von höchster Freude und geistlicher Fröhlichkeit!
Euch gefiel ja die Geringschätzung der Welt mehr als Ehren, Armut mehr als irdischer Reichtum und Ihr wolltet lieber Schätze im Himmel aufbewahren als auf Erden, wo weder Rost sie verzehrt, noch Motten sie verderben, noch Diebe ausgraben und stehlen; deshalb ist Euer Lohn überreich im Himmel und Ihr habt gleichsam verdient, Schwester, Braut und Mutter des Sohnes des allerhöchsten Vaters und der glorreichen Jungfrau benannt zu werden.
Ihr habt erkannt, so glaube ich nämlich fest, daß das Himmelreich einzig und allein den Armen vom Herrn versprochen ist und geschenkt wird. Wer nämlich ein irdisch Ding liebt, verliert die Frucht der Liebe.Man kann nicht Gott und dem Mammon dienen, denn entweder wird man den einen lieben und den anderen hassen, oder dem einen dienen und den anderen verachten.Ihr habt erkannt, daß der Bekleidete nicht mit dem Nackten kämpfen kann, da schneller zu Boden geworfen wird, wer etwas hat, wodurch er festgehalten werden kann;
daß niemand in der Welt herrlich leben und dort mit Christus herrschen kann; und daß ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher ins Himmelreich.
Deshalb habt Ihr die Kleider, nämlich den irdischen Reichtum, abgelegt, um dem, der mit Euch ringt, in keiner Weise zu unterliegen, damit Ihr auf dem engen Weg und durch die schmale Pforte ins Himmelreich eintreten könnt.
Es ist freilich ein großer und lobenswerter Tausch, das Zeitliche um des Ewigen willen zu verlassen, Himmlisches für Irdisches zu gewinnen, Hundertfaches für eines zu bekommen und das selige ewige Leben zu besitzen. Deshalb habe ich dafür gehalten, so sehr ich vermag, Eure Hoheit und Heiligkeit mit demütigen Bitten bei der Liebe Christi anzuflehen, daß Ihr in seinem heiligen Dienst zu erstarken begehrt, vom Guten zum Besseren, von Tugend zu Tugend, damit der, dem Ihr mit der ganzen Sehnsucht des Herzens dient, sich würdige, die ersehnten Belohnungen zu gewähren. Ich beschwöre Euch im Herrn, so wie ich es vermag, daß Ihr mich, Eure wenn auch unnütze Magd, und die übrigen Euch ergebenen Schwestern, die mit mir im Kloster weilen, in Euren frommen Gebeten dem anempfehlen möget, durch dessen Hilfe wir die Barmherzigkeit Jesu Christi gewinnen können, damit wir zusammen mit Euch für würdig befunden werden, uns der ewigen Anschauung zu erfreuen.
Lebt wohl im Herrn und betet für mich!
Zweiter Brief an die heilige Agnes von Prag
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Der Tochter des Königs der Könige, der Magd des Herrn der Herrscher, der würdigsten Braut Jesu Christi wie auch der überaus vornehmsten Königin, der Herrin Agnes, entbietet Klara, die unnütze und unwürdige Magd der Armen Frauen, Gruß, mit dem Wunsch, sie möge immer in der höchsten Armut leben.
Ich sage Dank dem Spender der Gnade, von dem jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk, wie wir glauben, ausgeht, weil er Dich mit so großen Kennzeichen der Tugenden geziert und mit den Merkmalen solcher Vollkommenheit geschmückt hat, daß Du verdienst, des vollkommenen Vaters eifrige und vollkommene Nachahmerin zu werden, auf daß sein Auge in Dir nichts Unvollkommenes sehe.Dies ist jene Vollkommenheit, durch die der König selbst sich Dir im himmlischen Brautgemach zugesellen wird, wo er glorreich auf sternenumkränztem Thron sitzt, weil Du die Höhe irdischer Königswürde gering geachtet und das Anerbieten kaiserlicher Ehe zu wenig gewürdigt hast.
Du bist die Nacheiferin der heiligsten Armut geworden und bist im Geiste großer Demut und glühendster Liebe den Fußspuren desjenigen gefolgt, dem angetraut zu werden Du verdient hast.Da ich weiß, daß Du reich an Tugenden bist, will ich Dich mit weitschweifigen Worten verschonen und nicht mit überflüssigen belasten, mag Dir auch nichts überflüssig erscheinen von dem, woraus Dir irgendein Trost kommen könnte.
Weil aber nur eines notwendig ist, so beschwöre ich dies Eine und ermahne Dich um der Liebe dessen willen, dem Du Dich als heiliges und wohlgefälliges Opfer dargebracht hast, daß Du, eingedenk Deines Vorsatzes, wie eine andere Rachel immer Deinen Anfang im Auge hast: Du mögest halten, was Du hältst, was Du tust, tue weiter, ohne zu säumen, vielmehr eile in schnellem Lauf, mit leichtem Schritt, ohne den Fuß anzustoßen,
damit auch Deine Schritte den Staub meiden; sicher, froh und munter mögest Du behutsam den Weg zur Seligkeit gehen.
Glaube niemandem, stimme keinem zu, wenn er Dich von diesem Vorsatz abbringen, wenn er dir ein Ärgernis in den Weg legen wollte, damit Du in jener Vollkommenheit, zu der Dich der Geist des Herrn berufen hat, Deine Gelübde dem Allerhöchsten erfülltest. Um aber auf dem Weg der Gebote des Herrn um so sicherer zu gehen, befolge den Rat unseres ehrwürdigen Vaters, unseres Bruders Elias, des Generalministers; seinen Rat ziehe den Ratschlägen der anderen vor und halte ihn für Dich teurer als jedes Geschenk. Wenn Dir aber jemand etwas anderes sagen, etwas anderes einreden würde, was Deiner Vollkommenheit hinderlich wäre, wenngleich Du ihm Verehrung schuldig wärest, befolge dennoch seinen Rat nicht! Vielmehr den armen Christus umfange, o arme Jungfrau!
Schau auf den, der verachtenswert geworden ist für Dich! Ihm folge, die Du verachtenswert geworden bist in dieser Welt, um seinetwillen. Deinen Bräutigam, schöner als die Menschenkinder, der um Deines Heiles willen der Geringste der Menschen geworden ist, verachtet, zerschlagen und am ganzen Körper vielfach gegeißelt, sogar in Kreuzesnöten sterbend, ihn, vieledle Königin, schaue an, betrachte, beschaue, ihm begehre nachzufolgen.
Wenn Du mit ihm Schmerzen empfindest, wirst Du mit ihm herrschen, wenn Du mit ihm leidest, wirst Du Dich mit ihm freuen, wenn Du mit ihm am Kreuz der Drangsal stirbst, wirst Du im Glanz der Heiligen mit ihm die himmlischen Wohnungen besitzen und Dein Name wird im Buch des Lebens aufgeschrieben werden, um ruhmvoll unter den Menschen zu werden. Deshalb wirst Du auf immer und in alle Ewigkeit teilhaben an der Glorie des himmlischen Reiches anstelle zugrundegehender, und wirst leben in alle Ewigkeit. Lebe wohl, liebste Schwester und Herrin im Herrn, Deinem Bräutigam, und empfiehl eifrig dem Herrn in Deinen frommen Gebeten mich mit meinen Schwestern, die sich freuen über das Gute des Herrn, das er in Dir durch seine Gnade wirkt.
Empfiehl uns auch vielmals Deinen Schwestern.
Dritter Brief an die heilige Agnes von Prag
Ihrer in Christus ehrwürdigen Herrin und vor allen Sterblichen liebenswerten Schwester Agnes, des berühmten Königs von Böhmen leiblicher Schwester, jetzt aber des höchsten Königs des Himmels Schwester und Braut, wünscht Klara, die demütigste und unwürdige Magd Christi und Dienerin der Armen Frauen, die Freuden des Heiles im Urheber des Heiles und was immer man Besseres begehren kann.
Aus Deinem Wohlbefinden, Deiner glücklichen Verfassung und Deinen glücklichen Erfolgen erkenne ich, daß Du in dem begonnenen Lauf zur Erlangung des himmlischen Siegespreises erstarkst, worüber ich mit Freude erfüllt bin; und mit um so größerem Jubel im Herrn atme ich auf, als ich weiß und glaube, daß Du mein und der anderen Schwestern Versagen im Nachfolgen der Fußstapfen des armen und demütigen Jesus Christus wunderbar ergänzest.Ich kann mich wirklich freuen und niemand soll mir eine solche Freude vergällen können,
weil ich das schon besitze, was ich unter dem Himmel heiß begehrt habe: Dich sehe ich nämlich, wie Du die Listen des schlauen Feindes, den verderblichen Hochmut der menschlichen Natur und die Menschenherzen betörende Eitelkeit schrecklich und unvermutet zu Fall bringst mit Hilfe eines wunderbaren Vorrechtes der Weisheit, die aus dem Munde Gottes selbst kommt; und ich sehe, wie Du den im Acker der Welt und der Menschenherzen verborgenen unvergleichlichen Schatz, mit dem man das kauft, wodurch alles aus nichts gemacht ist, mit Demut, mit der Kraft des Glaubens und mit den Armen der Armut umfängst.Und um die Worte des Apostels selbst im eigentlichen Sinn zu gebrauchen, halte ich Dich für eine Helferin Gottes selbst und für eine Stütze der fallenden Glieder seines unaussprechlichen Leibes.
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Wer möchte mich deshalb abhalten, mich über solche wunderbare Freuden zu freuen? Freue also auch Du Dich stets im Herrn, Liebste, und nicht mögen Bitterkeit und widrige Dinge Dich umstricken, in Christus liebste Herrin, Freude der Engel und Krone der Schwestern.
Stelle Deinen Geist vor den Spiegel der Ewigkeit,
stelle Deine Seele in den Glanz der Glorie,
stelle Dein Herz vor das Bild der göttlichen Wesenheit und forme
Dich selbst durch die Beschauung gänzlich um in das Abbild seiner Gottheit,.
damit Du selbst empfindest, was seine Freunde empfinden
durch das Verkosten der verborgenen Süßigkeit,
die Gott selbst von Anbeginn denen aufbewahrt hat,
die ihn liebhaben.
Dabei übergehe ich gänzlich alles, was in dieser trügerischen, beunruhigenden Welt ihre blinden Liebhaber umgarnt. Jenen liebe mit ganzer Hingabe, der sich um Deiner Liebe willen ganz hingegeben hat, dessen Schönheit Sonne und Mond bewundern, dessen Belohn-ungen in ihrer Köstlichkeit und Größe ohne Ende sind. Ihn meine ich, den Sohn des Allerhöchsten, den die Jungfrau gebar und nach dessen Geburt sie Jungfrau blieb.Seiner liebsten Mutter hange fest an, die einen solchen Sohn geboren hat, den die Himmel nicht zu fassen vermögen; und dennoch hat sie ihn im Kämmerlein des heiligen Mutterleibes gebildet und im jungfräulichen Schoß getragen.
Wer sollte nicht vor den Nachstellungen des Feindes des Menschengeschlechtes zurückschrecken, der durch den Prunk des Kurzlebigen und durch trügerische Ehren das zunichte zu machen drängt, was größer ist als der Himmel? Siehe, jetzt ist es klar, daß durch die Gnade Gottes, die das Wertvollste aller Geschöpfe ist, die Seele des gläubigen Menschen größer ist als der Himmel; denn die Himmel mit den übrigen Geschöpfen vermögen den Schöpfer nicht zu fassen, die gläubige Seele allein ist seine Wohnung und sein Sitz, und dies nur durch die Liebe, die die Gottlosen nicht haben. Denn so spricht die Wahrheit: „Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt, und auch ich werde ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“Wie also die glorreiche Jungfrau der Jungfrauen ihn leiblich getragen hat, so kannst auch Du ihn ohne jeglichen Zweifel stets in Deinem keuschen und jungfräulichen Leib geistig tragen, wenn Du den Fußstapfen ihrer Demut und besonders ihrer Armut nachfolgst; ihn wirst Du umfangen, von dem Du umfangen wirst und alles umfangen wird; das wirst Du besitzen, was Du auch, verglichen mit anderen vergänglichen Reichtümern dieser Welt, um so dauerhafter besitzen wirst.
Denn in dieser Welt lassen sich manche weltliche Könige und Königinnen, deren Überheblichkeiten bis zum Himmel stiegen und deren Haupt die Wolken berührte, täuschen und werden am Ende wie ein Düngerhaufen verderben. Darüber aber, was Du mir schon mitzuteilen aufgetragen hast, glaubte ich, Deiner Liebe antworten zu müssen, welche Festtage es nämlich sind – wie ich vermute, hast Du es in etwa angenommen -, die unser glorreicher Vater, der heilige Franziskus, uns besonders zu feiern aufgetragen hat durch Verschiedenheit der Speisen.
Jedenfalls soll Deine Klugheit wissen, daß außer den gebrechlichen und kranken Schwestern, denen wir gemäß seiner Mahnung und seinem Auftrag hinsichtlich aller Speisen die größtmögliche Rücksichtnahme angedeihen lassen sollen, keine von uns Gesunden und Kräftigen etwas anderes als nur Fastenspeise genießen darf sowohl an Wochen- wie an Festtagen, denn an jedem Tag müssen wir fasten, ausgenommen an den Sonntagen und an Weihnachten; an diesen Tagen sollen wir zweimal täglich essen dürfen.
Auch an den gewöhnlichen Donnerstagen ist das Fasten dem Belieben der einzelnen Schwester überlassen, so daß jene, die nicht will, dazu nicht gehalten sein soll. Wir Gesunden freilich fasten täglich außer an Sonntagen und an Weihnachten. An jedem Osterfest aber und an den Festen der heiligen Maria und der heiligen Apostel sind wir ebenfalls nicht zum Fasten gehalten, wie ein Schreiben des seligen Franziskus sagt, außer es fallen diese Feste auf einen Freitag. Und wie schon vorher erwähnt, essen wir, die gesund und kräftig sind, immer nur Fastenspeisen. Freilich ist unser Fleisch weder Fleisch aus Erz, noch Felsenkraft unsere Kraft, ja, wir sind gebrechlich und zu jeder körperlichen Schwäche geneigt.
Deshalb bitte ich, Liebste, daß Du Dich weise und besonnen von jeder rücksichtslosen und unmöglichen Strenge der Enthaltsamkeit, die Du, wie ich weiß, begonnen hast, zurückziehst. Und ich bitte Dich im Herrn,
daß Du lebend den Herrn preist, dem Herrn einen geistigen Gottesdienst darbringst, und Dein Opfer stets mit Salz gewürzt sei.
Lebe immer wohl im Herrn, wie auch ich es für mich sehr wünsche, gesund zu sein, und empfiehl sowohl mich als auch meine Schwestern in Deinen heiligen Gebeten.
Vierter Brief an die heilige Agnes von Prag
Der Hälfte ihrer Seele und dem Schrein ihrer herzlichen und einzigartigen Liebe, der berühmten Königin, der Braut des Lammes des ewigen Königs, der Herrin Agnes, ihrer liebsten Mutter und vor allen anderen bevorzugten Tochter, entbietet Klara, Christi unwürdige Dienerin und unnütze Magd seiner Mägde, die im Kloster S. Damiano bei Assisi wohnen, Gruß und wünscht ihr, sie möge mit den anderen hochheiligen Jungfrauen vor dem Throne Gottes und des Lammes das neue Lied singen und dem Lamme folgen, wohin es geht.
O Mutter und Tochter, Braut des Königs aller Zeiten, wundere Dich nicht, wenn ich Dir nicht so häufig geschrieben habe, wie Deine Seele und in gleicher Weise meine es ersehnt und von Herzen begehrt. Glaube ja nicht, daß das Feuer der Liebe zu Dir weniger liebevoll im tiefsten Herzen Deiner Mutter brennt. Darin nämlich liegt das Hindernis: im Mangel an Boten und in den bekannten Gefahren der Straßen. Indem ich aber jetzt Deiner Liebe schreibe, freue ich mich und frohlocke mit Dir in der Freude des Geistes, o Braut Christi, weil Du wie eine zweite hochheilige Jungfrau, die heilige Agnes, dem unbefleckten Lamm, das hinwegnimmt die Sünden der Welt, wunderbar vermählt bist, nachdem Du alle Eitelkeiten der Welt hingegeben hast.
Wahrhaft glücklich, wem es gegeben wird, dieses heilige Gastmahl zu genießen, um mit allen Fasern des Herzens dem anzuhangen, dessen Schönheit alle seligen himmlischen Heerscharen unaufhörlich bewundern, dessen Liebe reich beschenkt, dessen Betrachtung erquickt, dessen Güte erfüllt, dessen Liebenswürdigkeit wieder herstellt, dessen Andenken lieblich leuchtet, durch dessen Duft Tote wieder aufleben werden, dessen glorreicher Anblick selig machen wird alle Bewohner des himmlischen Jerusalem, da es ein Abglanz der ewigen Herrlichkeit, ein Schein des ewigen Lichtes und ein Spiegel ohne Makel ist. In diesen Spiegel schaue täglich, o Königin, Braut Jesu Christi, und betrachte immer in ihm Dein Antlitz, auf daß Du Dich so gänzlich innerlich und äußerlich schmückst, bekleidet und umgeben von bunter Pracht, mit der Mannigfaltigkeit aller Tugenden Dich umgibst, mit Blumen und Gewändern in gleicher Weise geschmückt bist, wie es sich geziemt, o Tochter und keuscheste Braut des höchsten Königs.
In diesem Spiegel erstrahlen die selige Armut, die heilige Demut und die unaussprechliche Liebe, wie Du mit Gottes Gnade durch den ganzen Spiegel sehen kannst. Beachte, sage ich, ganz vorne in diesem Spiegel die Armut dessen, der da in der Krippe liegt und in Windeln eingehüllt ist.
O wunderbare Demut, o staunenswerte Armut! Der König der Engel, der Herr des Himmels und der Erde wird in eine Krippe gelegt!
In der Mitte des Spiegels aber betrachte die Demut, wenigstens aber die selige Armut, die unzähligen Entbehrungen und Mühen, die er um der Erlösung des Menschengeschlechtes willen auf sich genommen hat. Am Ende dieses Spiegels aber beschaue die unaussprechliche Liebe, mit der er am Stamme des Kreuzes leiden und an ihm durch die schimpflichste Art des Todes sterben wollte.
Als daher dieser Spiegel selbst am Holz des Kreuzes angebracht wurde, da erinnerte er die Vorübergehenden an das, was sie erwägen sollten, indem er sprach: „Ihr alle, die ihr des Weges vorüberzieht, habt acht und seht, ob ein Schmerz gleich meinem Schmerz!“ Laßt uns dem Rufenden und Weheklagenden mit einer Stimme und einem Geist antworten, wie er selbst sagt: „Immer denke ich daran, und meine Seele schmachtet in mir dahin.“
Daher also mögest Du vom Feuer der Liebe immer stärker entzündet werden, o Königin des himmlischen Königs. Betrachte überdies seine unsagbaren Wonnen, seine Reichtümer und ewigen Ehren und rufe aus, seufzend vor übergroßer Sehnsucht und Liebe des Herzens: „Ziehe mich hin zu dir, wir wollen dem Dufte seiner Salben nacheilen, himmlischer Bräutigam! Ich werde laufen und nicht ermatten, bis du mich in den Weinkeller führst, bis deine Linke unter meinem Haupt ist, und die Rechte mich glückselig umarmen wird, du mich mit dem seligen Kuß deines Mundes küssen wirst.“ In dieser Beschauung erinnere Dich an Deine ärmliche Mutter und wisse, daß ich Dein glückseliges Andenken unauslöschlich auf die Tafeln meines Herzens geschrieben habe, weil Du mir teurer bist als alle.
Was soll ich noch weiter sagen? Es schweige in meiner Liebe zu Dir die Sprache des Fleisches; dies sagt und spricht die Sprache des Geistes. Die Liebe nämlich, die ich zu Dir hege, o gebenedeite Tochter, könnte die Sprache des Fleisches keineswegs vollständiger ausdrücken; sie spricht das aus, was ich nur unvollkommen geschrieben habe. Ich bitte, Du mögest gütig und ergeben aufnehmen und darin wenigstens die mütterliche Zuneigung bemerken, wodurch ich alle Tage in der Glut der Liebe zu Dir und Deinen Töchtern entbrenne: Ihnen empfiehl mich und meine Töchter herzlich in Christus.
Meine Töchter selbst aber, besonders die klügste Jungfrau Agnes, unsere Schwester, empfehlen sich Dir und Deinen Töchtern im Herrn, soviel sie vermögen. Lebe wohl, liebste Tochter, mit Deinen Töchtern bis hin zum Throne der Herrlichkeit des großen Gottes und betet für uns.
Die Überbringer dieses Briefes, unsere liebsten Brüder, Amatus, beliebt bei Gott und den Menschen, und Bonagura, empfehle ich, soviel ich vermag, hiermit Deiner Liebe. Amen.